Sind Gene ausschlaggebend dafür, ob uns ein Lebensmittel schmeckt oder nicht? Kann bald die Lebensmittelindustrie mittels DNA-Datenbanken kalkulieren, wie ein neues Produkt beim Konsumenten ankommen werde? SchülerInnen der HLFS Ursprung untersuchten diese Fragestellungen anhand eines menschlichen Gens, das das Empfinden von Bitternis auf der Zunge mitbestimmt. Sie nahmen DNA-Proben von über 400 ProbandInnen, die gleichzeitig definierte Bitterstoffkonzentrationen, eine Reihe von mit Stevia gesüßten Nahrungsmitteln sowie eigens entwickelte Apfelbeeren-Getränke kosteten und bewerteten.

Beim Menschen sind 25 Gene für die Rezeption von bitterem Geschmack bedeutsam, wobei das Gen TAS2R38 besonders gut untersucht ist. Die Entschlüsselung dieses Gens zeigte, dass es an drei Stellen punktuell variieren kann, es also drei SNPs gibt (SNP = Single Nucleotide Polymorphism = Einzelnukleotid-Polymorphismus). Je nachdem, welche dieser Punktmutationen im Gen vorliegen, ändert sich die "Bauweise" des Rezeptors auf der Zunge und damit seine Funktion hinsichtlich der Bitternis-Wahrnehmung. Und tatsächlich haben die Versuche der SchülerInnen gezeigt: kleine Variationen im Erbgut bewirken große Unterschiede im Geschmacksempfinden. Das kann so weit gehen, dass einer bereits bei geringsten Mengen von einem gewissen Bitterstoff angeekelt das Gesicht verzieht, während der andere ihn selbst bei sehr hoher Dosierung nicht wahrnimmt.

 

Von den gesammelten (und anonymisierten) rund 400 DNA-Proben konnten die jungen ForscherInnen 296 erfolgreich im Schullabor auf diese 3 SNPs analysieren und mit den Verkostungen verknüpfen. Dabei machten sie eine erstaunliche Entdeckung: Menschen, die die sogenannte "PAV/PAV"-Variante des Gens tragen, empfanden Stevia nie als unangenehm, sie bewerteten alle Kostproben positiv oder zumindest neutral. Der Clou ist, dass PAV/PAV sogenannte Super-SchmeckerInnen auszeichnet, d.h. Personen, die Bittergeschmack sehr fein wahrnehmen können. Das Ergebnis der SchülerInnen widerspricht also der gängigen Arbeitshypothese, dass Menschen vom Genotyp PAV/PAV Stevia wohl eher nicht mögen würden. In der kleinen Stichprobe der SchülerInnen kam der „Stevia-Genotyp" PAV/PAV zu 7% vor, wissenschaftlichen Untersuchungen zufolge haben jedoch bis zu 14% der Europäer diesen Genotyp (vgl. Lit. 3), müssten also Stevia als wohlschmeckend empfinden. Das Ergebnis der SchülerInnen ist laut den statistischen Berechnungen hochsignifikant und zu 99% zuverlässig.

Stevia wurde aus aktuellem Anlass ausgewählt: Der kalorienfreie Süßstoff der Stevia-Pflanze wird voraussichtlich 2011 von der EU zugelassen, Lebensmittelkonzerne haben bereits entsprechende Produkte in den Startlöchern. Es ist allerdings bekannt, dass manche Menschen die Stevia-Süße als metallisch, medizinisch oder bitter, kurz gesagt: als unangenehm empfinden. Diesem Phänomen wollten die Schüler molekularbiologisch auf den Grund gehen.

 

Daneben interessierten sich die jungen WissenschaftlerInnen auch für die Geschmacks-Wahrnehmung bei eigens entwickelten Apfelbeeren-Getränken. Die Aronia – so der wissenschaftliche Name der Apfelbeere – soll laut jüngeren Studien ja sehr gesundheitsfördernd sein und sogar Krebs vorbeugen (vgl. Lit. 2), schmeckt allerdings sehr bitter und adstringierend (d.h. grob gesagt, sie sorgt dafür, dass es "einen zusammenzieht"). Laut Hypothese sollte das Gen TAS2R38 also auch für die Geschmackswahrnehmung bei der Apfelbeere eine Rolle spielen. In der statistischen Auswertung der gesammelten Daten zeigten sich Geschmackstrends, die man bestimmten Genvarianten von TAS2R38 zuordnen kann, ebenfalls statistisch signifikant. Weitere Aufklärung müssten hier aber Versuche bringen, die einerseits die vielen verschiedenen Inhaltsstoffe der Apfelbeere, andererseits weitere Geschmacks-Gene berücksichtigen.

 

Last but not least interessierte man sich auch für ethische Aspekte: Wenn es SchülerInnen schaffen, aus menschlichen DNA-Proben Informationen über das Geschmacksempfinden herauszulesen, welche Fakten muss dann erst ein professionelles Labor daraus entschlüsseln können, z.B. über Krankheiten oder persönliche Eigenschaften? Wer kümmert sich darum, dass diese sensiblen Daten nicht in falsche Hände geraten? Der Gesetzgeber kann den rasanten Entwicklungen in der Gentechnologie nur hinterherhinken. Gebote oder Verbote können erst geschaffen werden, wenn feststeht, was es eigentlich zu regeln gibt bzw. wenn absehbar wird, welche Entwicklungen kontrolliert oder verhindert werden müssen. Auf einer großen Ausstellung im Haus der Natur, bei der die Daten für das Projekt gesammelt wurden, machten die SchülerInnen auch auf diese Problematik aufmerksam und führten Interviews zum "DNA-Datenschutz".

Gesundheit
Empfinden
Stevia
Chlorogensäure
Haus der Natur
Motivation
Aronia
Entschlüsselung
Cytosin
Kekse
Ehrgeiz
Reaktionen

Süße
Interesse
Neugierde
Durchhaltevermögen

Verkostung
Eigenregie
Rezeptorproteine
Statistik
Chemie
HLFS Ursprung
Identität
Ernährung
DNA
Eklig
Nahrungsmittelkonzerne

Gesetz
Erbgut
Non-Taster
Ergebnis

Auswertung
Unterschiede
Cappuccinopulver
High-Tech-Ausrüstung

Literatur:

1.) Kim UK, et al. 2003.
Positional cloning of the human quantitative trait locus underlying taste sensitivity to phenylthiocarbamide. Science. 299:1221–1225.

2.) Kokotkiewicz A, et al 2010
Aronia plants: a review of traditional use, biological activities, and perspectives for modern medicine.
J Med Food. 13(2):255-69.

3.) Sausenthaler S. et al 2009
Lack of Relation Between Bitter Taste Receptor TAS2R38 and BMI in Adults.
Obesity 17 5, 937-938