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 Karies beißt ins Stevia-Gras Versuche im Mikrobiologielabor
2006/2007

Das Bakterium Streptococcus mutans gilt als Erreger der Zahnfäule. Durch geeignete Zahnpflege und Vermeidung von Süßigkeiten versuchen die Menschen dem Wildwuchs des Erregers auf den Zähnen Herr zu werden.
Auf diversen Webseiten wird immer wieder behauptet, dass Stevia Karies hemmend sei, ohne dass jedoch auf wissenschaftliche Untersuchungen verwiesen wird. Auch wir fanden in keiner uns zugänglichen Datenbank für wissenschaftliche Artikel einen Hinweis.
So kamen wir auf die Idee, dies mit einigen Fütterungsversuchen mit dem Streptococcus mutans im Mikrobiologielabor selbst nachzuweisen.

Wir vermuteten, dass der Süßstoff Steviosid die Vermehrung des Bakteriums verlangsamt, vielleicht sogar verhindert.
Also begab sich eine handvoll mutiger Schülerinnen und Schüler in den Kampf gegen den gefährlichen Karies– Erreger. Unsere einzige Waffe: Stevia rebaudiana.
Doch wie jede Schlacht ging auch diese nicht völlig reibungslos vonstatten und so mussten wir uns einigen Prüfungen und Herausforderungen stellen. Herausforderungen, bei denen vor allem Kreativität und Teamwork gefragt waren.

Herausforderung 1: Woher bekommen wir den Streptococcus mutans?

Das Bakterium rein aus dem eigenen Mund zu gewinnen, schien uns zu ungenau. Für wissenschaftliche Untersuchungen benötigten wir das Bakterium hochrein und in großen Mengen.
Die Bakterienkulturen erhielten wir von der „Deutschen Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen GmbH“. Da der Streptococcus mutans als Krankheitserreger jedoch zur Risikogruppe 2 gehört, mussten bestimmte Sicherheitsmaßnahmen eingehalten werden.

Definition Risikogruppe 2: Biologische Arbeitsstoffe, die eine Krankheit beim Menschen hervorrufen können und eine Gefahr für Beschäftigte darstellen können; eine Verbreitung des Stoffes in der Bevölkerung ist unwahrscheinlich; eine wirksame Vorbeugung oder Behandlung ist normalerweise möglich.

Plaque bei Zucker unter dem Mikroskop

Während der sauberen Arbeit in der Reinraumbank waren sterile Gummihandschuhe, Mundschutz und Labormäntel höchste Priorität. Jedes Arbeitsgerät musste sterilisiert oder desinfiziert, sämtlicher Abfall abschließend autoklaviert werden. Dies lernten wir sowohl theoretisch als auch praktisch von Herrn Dipl.-Ing. Gerold Sigl.

Die 1. Prüfung war bestanden! Der Feind befand sich unter uns und wir hatten ihn unter Kontrolle.

Herausforderung 2: Wie messen wir die Vermehrung des Streptococcus?

Um auf vergleichbare Ergebnisse zu kommen, fütterten wir den Streptococcus nicht nur mit Steviosid, sondern auch mit anderen Süßungsmitteln. Zucker ist bekanntlich die beste Nahrungsquelle für den Karieserreger. Bei anfänglichen Versuchsreihen verwendeten wir Saccharose, später Glucose.
Als Positivkontrolle diente Xylit, ein Süßungsmittel, dessen Karies hemmende Wirkung bereits nachgewiesen wurde und besonders in Zahnpflegekaugummis Verwendung findet.


Xylit kommt als natürlicher Zuckeralkohol in verschiedenen Gemüsesorten, Früchten und der Rinde bestimmter Holzarten vor. Industriell wird Xylit durch chemische Modifikation des Xylans (Holzgummi) über den Holzzucker Xylose gewonnen. Die industrielle Herstellung ist aufwändig, Xylit ist ein verhältnismäßig teurer Zuckeraustauschstoff. Heute erfolgt die Gewinnung häufig aus Resten von Maiskolben nach Abernten der Körner. Während des Kohlenhydratabbaus werden im menschlichen Körper täglich 5 bis 15g in der Leber hergestellt.
Auf dem Weg zum Erfolg
liegt so mancher Stolperstein...
... aber mit Hilfe von Freunden bewältigt man so manche Herausforderung

Unsere Hoffnungen beruhten darauf, dass sich der Streptococcus mutans mit Stevia und Xylit viel schlechter vermehren sollte als unter Zugabe von Zucker. Die voneinander abweichenden Daten sollten grafisch in einer Vermehrungskurve dargestellt werden. Um solch eine Grafik erstellen zu können, wurde die Vermehrung des Streptococcus alle zwei Stunden gemessen. Doch hier stießen wir bereits auf ein weiteres Problem, denn wie sollte das Wachstum von so kleinen Lebewesen erfasst werden? Die Lösung fanden wir durch das Photometer.
Dieses Gerät misst die Anzahl der lebenden und toten Bakterien über die Trübung der Kultur im Messröhrchen. Als Vergleich diente eine Nullprobe, die nur aus dem Nährmedium bestand und eine geeichte/ausgezählte Menge an Streptococcen. Nun konnten auch die Proben mit dem Streptococcus und den verschiedenen Süßungsmitteln gemessen und so ein Vergleich der Wachstumsraten gezogen werden.

Die nächste Prüfung war bestanden! Nun konnten wir uns in den Kampf begeben.

Herausforderung 3: Der Keim versucht sich der Messung zu entziehen!

Um ein geeignetes Medium für die Bakterien zu schaffen, wurden Berechnungen angestellt, um die Zuckerkonzentration im Reagenzglas der Konzentration im Mund nach dem Genuss zb. von Schokolade anzugleichen. Da Steviosid allerdings eine viel höhere Süßkraft als Zucker und Xylit hat, führten wir auch Rechnungen durch, um herauszufinden, in welchem Verhältnis wir Zucker, Stevia und Xylit ansetzen mussten. Nach langem Hin und Her entschlossen wir uns, diese Verhältnisse durch Geschmacksproben zu bestimmen. Von den so entstandenen drei Stammlösungen pipettierten wir je 5µl, 50µl und 500µl in die Proberöhrchen, um auch drei verschiedene Verdünnungen zu testen. Hinzu kamen je 100µl Streptococcus- Basislösung und ausreichend Standardnährmedium (Das Bakterium braucht natürlich auch noch weitere Nährstoffe, Salze, Spurenelemente etc). Die Proben wurden anschließend im Brutschrank bei 37°C bebrütet. Nach ca. vier Stunden konnten die ersten Messungen mit dem Photometer durchgeführt werden. Die Messungen mussten ca. alle zwei Stunden wiederholt werden.
Doch das Ergebnis war ganz anders als erwartet. Nach wenigen Messungen erkannten wir, dass das Bakterium bei allen Proben relativ gleich schnell gewachsen war.

Ein Unterschied bestand nur zwischen den verschiedenen Verdünnungsstufen, wobei die Verdünnungen mit 5µl und 50µl Stammlösung nach unseren heutigen Erkenntnissen eine zu niedrige Konzentration an „Futtermitteln“, sei es Xylit, Steviosid oder Zucker, beinhalteten. Weiters sanken nach längerer Zeit die Messwerte (NUR) beim Zucker bedenklich nach unten, was bedeutete, dass die Bakterien im Proberöhrchen schon wieder abnahmen. Das konnte eigentlich nicht sein, denn die Bakterien konnten sich ja nicht aus dem Proberöhrchen beamen. Nach langem Tüfteln stellten wir fest, dass sich bei diesen Proben mit Zucker an den Rändern ein Biofilm absetzte. Grund dafür war, dass der Streptococcus m. eine so genannte Plaque bildete und an den Rändern kleben blieb, so wie es auch bei den Zähnen der Fall ist. (Abb Messkurven)
Der Verzweiflung nahe rauchten die Köpfe aller Beteiligten und versuchten eine Lösung zu finden. Schließlich hofften wir, die Plaquebildung durch Schüttelbäder zu verhindern, doch auch dieser Versuch misslang. Nicht bereit aufzugeben, starteten wir einen neuen Angriff und versuchten die Plaque durch Ultraschallgeräte und Vortexer zu verflüssigen. Mit dieser Strategie kamen wir auch wieder annähernd zu weiteren Messergebnissen.
Messkurve 1:


Messkurve 2:

Zu unserer Enttäuschung vermehrte sich das Bakterium in allen Lösungen von Zucker, Steviosid und Xylit annähernd gleich gut. (Abb Messkurven 2) Hatten wir durch Verunreinigung andere Bakterien in die Lösung gebracht, die sich nun so schnell vermehrten, dass sie unser Zielbakterium überwucherten?
Mithilfe der PCR- Methode überprüften wir die Identität der Proben und siehe da, es war der Karieserreger, der sich so munter und frisch in allen Röhrchen mit den Süßstoffen vermehrte.

 

War unsere Hypothese falsch? Aber warum wuchs der Keim auch in der Probe mit Xylit, das nachweislich als Karies hemmend gilt? Wo hatten wir den Denkfehler?

Herausforderung 4: Was hat es mit dieser Plaque auf sich?

Die „Deutsche Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen GmbH“ gab an, dass der Streptococcus m. in einem neutralen Umfeld (pH 7) angesetzt werden soll. Durch diese Info kam das Team auf die glorreiche Idee, den pH- Wert der Proben zu messen. Das Ergebnis war, dass in den Zuckerlösungen, in denen sich Plaque gebildet hatte, der pH- Wert auf ca. 4 gesunken war. Bei den Stevia- und Xylitlösungen blieb der pH- Wert jedoch über 5 (Abb. pH-Wert Tabelle)
Die Stoffwechselprodukte, die vom Streptococcus m. während der Verdauung des Zuckers ausgeschieden werden, sind sauer und senken den pH- Wert im Proberöhrchen.
Im Bereich vom pH- Wert 4 bis 5 bildet er dann den Biofilm, die Zellen verkleben miteinander und bleiben an Zähnen oder eben am Probenröhrchen kleben.

Nach diesen entscheidenden Erkenntnissen stellten wir fest, dass die ursprüngliche Hypothese falsch war und das Ergebnis auf eine andere Weise betrachtet werden musste. Stevia sowie Xylit hemmen nicht die Vermehrung des Streptococcus mutans, sondern die Plaquebildung, ein klebriger Biofilm mit unfassbar vielen zusammengeklumpten Bakterien. Genau diese Plaque ist gefährlich, da sie dem Bakterium ermöglicht, sich am Zahn anzulagern.

Erst dann entstehen die Löcher in den Zähnen. Bildet der Streptococcus m. jedoch keine Plaque, wie es bei Steviosid und Xylit der Fall ist, ist das Bakterium beinahe ungefährlich, da es frei im Mund keinen Schaden anrichten kann. Denn der Streptococcus m. gibt bei „Fütterung“ mit Steviosid und Xylit keine sauren Stoffwechselprodukte mehr ab. Folglich kann keine Plaque gebildet werden und der Zahn bleibt gesund. (Abb. Seite 17, Mikroskopische Aufnahme der Bakterien mit Zucker und Stevia)

Diese Kenntnisse nutzen auch die Hersteller von Zahnpflegekaugummis, die auch meist den pH- Wert im Mund auf neutrale 7 einstellen.
Nun mussten die Ergebnisse nur noch verifiziert werden, um sicherzugehen, dass das Ergebnis kein Zufall war.
Nach der anfänglich aufgestellten These, die sich schlussendlich als falsch herausstellte, war die Freude umso größer, als das Team während der Untersuchungen auf ein erstaunliches Ergebnis kam.

Steviosid hemmt die Bildung von Plaque und schützt so die Zähne vor Karies.

Alle Herausforderungen waren also bestanden! Der Feind war bezwungen und sein Geheimnis gelüftet.

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