Mit unseren Fragebögen und unseren DNA-Analysen hatten wir eine ganze Menge an Daten gesammelt: Aus 419 Fragebögen mit zugehöriger DNA bestand unser Ausgangsmaterial. Im Labor passierten dann jedoch leider auch Fehler – kein Wunder bei einer solcher Probenmenge und bei so vielen WissenschaftlerInnen ;-). Einmal wurde das falsche Reaktionsgefäß entsorgt, ein anderes Mal funktionierte die DNA-Sonde nicht so gut und schon war einer der drei SNPs nicht eindeutig zuzuordnen. 296 sichere DNA-Auswertungen für alle 3 SNPs konnten wir aber schließlich in die Datenbank eingeben. Diese Daten sollten nun mit den Angaben von den Fragebögen in Beziehung gebracht werden (sofern diese vollständig ausgefüllt waren; die Fragen zum Stevia-Geschmacksempfinden waren z.B. nur von 409 Probanden auswertbar beantwortet worden).

Während der Weihnachtsferien trafen wir uns und "klopften" die Werte in eine selbst erstellte MS-Access-Datenbank, bei deren Entwicklung sogar ein Papa tatkräftig mitgeholfen hatte. Um die Professionalität unserer Auswertung zu gewährleisten suchten wir nach Unterstützung. Univ. Doz. Dr. Karl Entacher von der Fachhochschule Salzburg Urstein erklärte sich schließlich bereit, die Analysen zu leiten. Nach der Erstellung erster Diagramme zeigte er uns in einem Abendkurs das Programm IBM SPSS Statistics 19 (Lizenz der FH Urstein) und korrigierte auch geduldig unsere anfänglichen Fehler. In den nachfolgenden Tabellen und Diagrammen haben wir die wichtigsten Ergebnisse zusammengefasst. Die Sicherheit der Auswertung wurde mit dem Chi-Quadrat-Test überprüft. Weitere Ergebnisse gibt es ab Juni 2011 auf der Homepage zum Projekt (http://projekte.ursprung.at). Das wichtigste Ergebnis des Projekts ist in Punkt 6 zusammengefasst.

1.) Alters- und Geschlechtsverteilung der ProbandInnen

(399 gültige Fragebögen)

Abb. 1
 

2.) Verteilung der Genotypen

(296 gültige Ergebnisse)

 
Tab. 1 Häufigkeiten der Genotypen
 
Abb. 2 Häufigkeiten der Genotypen

Wie erwartet ist der Genotyp PAV/AVI mit 39% am häufigsten vertreten, gefolgt von AVI/AVI mit 31% und PAV/PAV mit 7%. Die anderen Genotypen sind selten und werden in weiterer Folge zu der Gruppe "Andere" zusammengefasst. Vergleicht man diese DNA-Laborergebnisse mit der wissenschaftlichen Literatur, so zeigt sich, dass PAV/AVI und AVI/AVI wie erwartet verteilt sind. Auffällig ist aber der geringe Anteil von PAV/PAV. Laut einer Studie an 1252 Individuen in Erfurt sollte dieser deutlich höher liegen, nämlich bei 14% (Sausenthaler 2009). Auch eine Studie in den USA mit über 500 Indiviuen kommt auf 14% (Cannon 2005). Unsere Abweichung könnte sich erklären lassen durch die geringere Stichprobengröße sowie das Faktum, dass eine der drei DNA-Sonden etwas schlechter funktionierte und daher die Ausfallsquote im Labor nicht gleich über alle 3 SNPs verteilt war. Weiters verzeichnen wir einen höheren Anteil an seltenen Genotypen. Dieser Anteil der "Anderen" wäre für Österreich niedriger zu erwarten gewesen. Das Ergebnis passt aber wieder ins Bild der wissenschaftlichen Literatur, wenn man berücksichtigt, dass wir aufgrund unserer Probennahme im Haus der Natur einen höheren Anteil ausländischer TouristInnen unter den ProbandInnen hatten. Der Genotyp ist abhängig von der ethnischen Zugehörigkeit. So haben z.B. Menschen aus der Subsahara eher Versionen, die bei uns selten sind.

 
Tab. 2 Häufigkeiten der Genotypen, gruppiert
 
Abb. 2 Häufigkeiten der Genotypen, gruppiert
 
Abb. 3 Häufigkeiten der Genotypen, gruppiert mit Fehlerbalken

Literatur:

Sausenthaler S. et al. 2009, Lack of Relation Between Bitter Taste Receptor TAS2R38 and BMI in Adults.Obesity 17 5, 937-938
Cannon D.S. et al. 2005, Associations between phenylthiocarbamide gene polymorphisms and cigarette smoking. Nicotine & Tobacco Research 7, 6 853–858

3.) Verteilung der Geschlechter und Altersklassen bei den Genotypen

(296 gültige Ergebnisse)

In den Abbildungen 4 und 5 sieht man die Verteilung der Geschlechter und der Altersklassen "Kinder und Jugendliche" bzw. "Erwachsene" bei den verschiedenen Genotypen.

 
Abb. 4 Geschlechterverteilung bei den Genotypen
 
Abb. 5 Altersklassenverteilung bei den Genotypen

4.) Das Geschmacksempfinden bzgl. PROP bei den Genotypen

(296 gültige Ergebnisse)

Alle Probanden kosteten verschiedene Konzentrationen von PROP-Lösungen (siehe Tab. 1, Kapitel 5), beginnend bei der niedrigsten Konzentration (Nr.1). Sobald sie die Bitternis erschmeckten, kreuzten sie die entsprechende Nummer im Fragebogen an. Wer in gar keiner der Proben das bittere PROP erschmeckte, kreuzte Nr. 7 an. PROP ist der Quasi-Standard bei sensorischen Tests zum Bittergeschmacksgen TAS2R38. In Abb. 6 und 7 sind die Ergebnisse grafisch unterschiedlich dargestellt.

 
Abb. 6 PROP-Wahrnehmung bei den Genotypen
 
Abb. 7 PROP-Wahrnehmung bei den Genotypen

Menschen des Genotyps PAV/PAV gelten in der älteren Literatur als SuperschmeckerInnen (Supertaster), weil sie schon geringste Mengen an PROP wahrnehmen können. Der Typ PAV/PAV erschmeckte bei uns PROP nur höchstens bis zur geringen Konzentration Nr. 3, danach wurde mitunter schon zum Waschbecken gelaufen, weil der Geschmack als so grauslich empfunden wurde. Menschen mit dem Genotyp AVI/AVI wurden früher als Nontaster bezeichnet, weil sie in 80% der Fälle PROP erst bei hohen Konzentrationen oder gar nicht erschmecken. In unserem Ergebnis hat AVI/AVI den höchsten Anteil an Nr. 7-Kreuzen. Das heißt also, dass hier viele Personen keine der Lösungen als bitter empfanden.

Unsere Untersuchung zeigt aber auch, warum die Begriffe Supertaster und Nontaster bezüglich PROP in der neueren wissenschaftlichen Literatur kaum mehr verwendet werden: Wie aus Abb. 6 ersichtlich ist, gibt es auch Menschen des Genotyps AVI/AVI (also angebliche Non-Taster), die schon geringe Mengen Bitterstoff wahrnehmen. Der Grund ist, dass die Veranlagung zum Super-Taster auf mehreren Genen lokalisiert ist – wie Hayes et al 2008 zeigten. Die von uns eruierte Verteilung des Geschmacksempfindens bezüglich PROP beim Typ AVI/AVI deckt sich mit der Arbeit von Hayes.

Unsere sensorischen Tests samt den dazugehörigen DNA-Analysen stimmen also perfekt mit der neueren wissenschaftlichen Literatur überein. Darauf sind wir sehr stolz. Zwischendurch hatten wir nämlich bereits die Befürchtung, dass im Projektablauf Fehler versteckt sein könnten. Da erschienen die ersten DNA-Analyse-Ergebnisse der AVI/AVI-Typen am Monitor und offensichtlich schmeckten die schon die Bitternis der Konzentration Nr. 1. Da schien etwas nicht zu passen. Als sich aber auch die Nr. 7-Probanden, also jene Menschen die PROP gar nicht gemerkt hatten, unter den AVI/AVI-Typen häuften, atmeten wir erleichtert auf.

Literatur:

Hayes E.J. et al 2008, Supertasting and PROP Bitterness Depends on More Than the TAS2R38 Gene, Chem. Senses 33: 255–265.

5.) Das Fragebogen-Feedback zum Geschmack von Stevia

(409 gültige Fragebögen)

Alle ProbandInnen kosteten Lebensmittel, die mit Stevia gesüßt waren, z.B. verschiedene Teesorten, Kuchen und Puddings. Das Geschmacksempfinden wurde dann einerseits durch Multiple-Choice-Fragen, andererseits beschreibend ("schmeckt nach Medizin", "künstlich", "chemisch", "bitter") bewertet. Auch der Nachgeschmack ein paar Minuten später wurde eingeordnet, und zwar in die Kategorien "angenehm", "neutral" und "unangenehm". Nachfolgend die Auswertung.

 

gesamte Stichprobe
409 Probanden

unangenehm: 105; 25,7%

neutral: 122; 29,8%

angenehm:182; 44,5%

 

männlich: 223 Probanden

unangenehm: 41; 8,4%

neutral: 80; 35,9%

angenehm: 102; 45,7%

 

weiblich: 186 Probanden

unangenehm: 64; 34,4%

neutral: 42; 22,6%

angenehm: 80; 43%

 

jünger als 17 Jahre: 109 Probanden

unangenehm: 20; 18,3%

neutral: 39; 35,8 %

angenehm: 50; 45,9%

 

älter als 22 Jahre: 191 Probanden

unangenehm: 56; 29,3%

neutral: 50; 26,1 %

angenehm: 85; 44,5%

 

älter als 30 Jahre: 136 Probanden

unangenehm: 39; 28,7%

neutral: 36; 26,5 %

angenehm: 61; 44,8%

 

älter als 50 Jahre: 47 Probanden

unangenehm:10; 21,3%

neutral: 9; 19,1 %

angenehm: 28; 59,6%

Tab. 3: Geschmacksempfinden bei Stevia, Auswertung der Fragebögen ohne Berücksichtigung des Genotyp

6.) Das Geschmacksempfinden bzgl. Stevia bei den Genotypen

(296 gültige Ergebnisse)

Im nächsten Schritt werteten wir das Geschmacksempfinden bei Stevia verknüpft mit den den 3 Haupt-Genotypen (AVI/AVI, AVI/PAV, PAV/PAV) aus und entdeckten Erstaunliches:

Wie man in Abbildung 8 erkennen kann, stufte kein Mensch mit dem Genotyp PAV/PAV Stevia als negativ ein. Alle empfanden Stevia als gut oder zumindest als neutral. Beim heterozygoten Genotyp PAV/AVI, also bei Menschen, die von den Eltern verschiedene Varianten des Gens vererbt bekommen haben, bewertet eine höhere Anzahl Stevia als angenehm als beim Genotyp AVI/AVI. Man könnte sehr vereinfacht sagen: je mehr PAV, desto besser schmeckt einem Stevia.

Dies ist überraschend. Wir haben angenommen, dass die Gruppe PAV/PAV mit ihrer "Supertaster"-Fähigkeit, Bitterstoffe sehr genau wahrzunehmen, Stevia wohl eher nicht mögen würde. Und nun legt unser Ergebnis nahe, dass genau das Gegenteil der Fall ist.

Es gibt einen Zusammenhang zwischen den genetischen Varianten des Bitterrezeptorgens TAS2R38 und der Bewertung des Süßstoffs der Stevia-Pflanze, der genau unserer ersten Arbeitshypothese widerspricht. Forschung kann wirklich aufregend sein! Das Ergebnis ist "hochsignifikant", d.h. mit einer Wahrscheinlichkeit von p=99% sicher. (Etwas fachlicher ausgedrückt würde man schreiben, dass durch einen Chi-Quadrat-Test die Hypothese oder Entscheidung, das das Merkmal "Stevia Allgemein" in den verschiedenen Grundgesamtheiten (AVI/AVI, PAV/AVI und PAV/PAV) auf die gleiche Art verteilt ist, hochsignifikant abgelehnt werden kann.)

Laut unseren Untersuchungen können wir für ca. 14% der mitteleuropäischen Bevölkerung sagen (Verteilung PAV/PAV für BRD laut Sausenthaler 2009), dass ihnen die Stevia-Süße besonders schmecken wird – und wir hätten diese Prognose tatsächlich "aus der DNA gelesen".
Sicher könnte eine Untersuchung der anderen 24 Geschmacks-Gene weitere Aufschlüsse liefern. Leider fehlt uns die Zeit und vor allem das Geld, um weitere DNA-Sonden für Analysen anzuschaffen.

 
Abb. 8 Geschmacksempfinden bzgl. Stevia bei den Genotypen

7.) Das Geschmacksempfinden bzgl. Aronia bei den Genotypen

(130 gültige Datensätze)

Die Aronia ist sehr bitter, sie besteht aus vielen Inhaltsstoffen, die adstringierend und "hantig" schmecken. Laut unserer Hypothese sollte ein gewisser Zusammenhang mit dem von uns untersuchten Gen TAS2R38 bestehen. Abb. 9 zeigt die Auswertung der Fragebögen bezüglich Aronia verknüpft mit dem Genotyp. Man kann einen Trend erkennen: Zur PAV/PAV Gruppe hin steigt die Abneigung gegen Aronia. Das passt zu der Tatsache, dass der Typ PAV/PAV auch die standardisierten Bitterstofflösungen viel früher als eklig empfindet.

 
Abb. 9 Geschmacksempfindung bzgl. Aronia bei den Genotypen

Man muss dazusagen, dass wir den Aroniasaft zur Verkostung bewusst nicht auf guten Geschmack optimiert haben. Wir wollten die Bitternis der Aroniabeere nicht abschwächen. Mischungen mit Orangensaft oder mit Traubenzucker hätten den Geschmack massiv verbessert. Dann hätte die gesunde Frucht viel mehr Menschen geschmeckt.

Interessant ist auch Abb. 10, wo der AVI/AVI-Typ dargestellt ist. Man kann erkennen, dass es einen Unterschied beim Geschmacksempfinden von Aronia zwischen den Altersklassen gibt. Jüngere Menschen empfinden Aronia eher als zu bitter. Das passt zur Evolutions- bzw. Entwicklungstheorie. Es ist ein natürlicher und gesunder Reflex, wenn Kinder bittere Pflanzenteile wieder ausspucken, er dient dazu, dass sie nichts Giftiges essen. Erst im Lauf des Erwachsenwerdens lernt man, dass Bitternis ungefährlich und sogar wohlschmeckend sein kann. Das ist auch der Grund, warum Kinder selten Grapefruit oder Sprossenkohl mögen, die sie dann als Erwachsene mitunter durchaus gerne essen.

 
Abb.10 Genotyp AVI/AVI, aufgeteilt nach Altersklassen und verknüpft mit der Bewertung des Aronia-Geschmacks

8.) Nebenergebnis: Raucher und Geschmack

Wir fragten bei unseren ProbandInnen auch nach, ob sie Raucher oder Nichtraucher seien. Dass das Rauchen die Geschmacksrezeptoren und damit den Genuss beim Essen beinträchtigt, ist bekannt.

Unsere Daten zeigen, dass Raucher später das PROP in den Probelösungen erschmeckten (Abb.11). Man könnte sagen: Raucher haben taubere Geschmacksnerven. Da aber 'zu wenig' RaucherInnen in unserer Stichprobe waren, ist dieses Ergebnis (einstweilen) wohl kaum vor der Tabakindustrie zu verteidigen ;-).

 
Abb. 11 Genotyp PAV/PAV, Supertaster bezüglich PROP, aufgeteilt in Raucher und Nichtraucher

Interessantestes Ergebnis:

Kein Mensch vom Genotyp PAV/PAV empfand Stevia als negativ. Bei den Menschen mit dem Genotyp PAV/AVI findet ein höherer Prozentsatz Stevia angenehm als bei den Menschen mit dem Genotyp AVI/AVI. Kurz gesagt: Je mehr PAV desto besser schmeckt Stevia.